Gelebte dörfliche Tradition – Mundart, Theater und Gesang – Drama und Happy End in der Kerweshow
Schneewittchen und die sieben Zwerge mal ganz anders! Aber ganz besonders gut!
Diese Interpretation des Märchens der Brüder Grimm hätte diese sicherlich auch zum Schmunzeln und zum Lachen gebracht. Mitunter in feinster Mundart bot sich den Zuschauern eine besondere Darbietung des Märchenklassikers. Eine meisterlich dargebotene Tragödie und zugleich Komödie.
Das Schatthäuser Schneewittchen und die Zwerge (Kerweshow 2022) – Text von Harry Schilles
Als Kerwe-Chrisse am Sonntag die Schatthäuser Kerwered‘ verlas, hatte so mancher seinen Ohren nicht getraut: Ob Abortwasser, Schaumparty oder Sexspielzeug – stets wurde Schatthausens Nachbarort geradezu mit weichen Samtpfötchen angepackt, nicht bissig, eher gnädig, ja mitleidig erwähnt. Dass Baiertal dann auch noch wegen seiner Bemühungen um eine besonders kindgerechte Kerwe – im Gegensatz zur Kernstadt allerdings absolut zurecht – in höchsten Tönen gelobt wurde, hatte doch dem einen oder der anderen ein mittleres Stirnrunzeln entlockt, ob dieser Harmonie und Einigkeit.
Man ahnt es fast schon – so friedlich konnte es nicht lange bleiben: Wie zum Ausgleich donnerte dann montags gleich zu Beginn der Kerweshow Zwerg Pimpel (Patrick Schulz) „Schatthause bleibt Schatthause! Baiadlahawwe do nix zu suche!“ von der Bühne. Man muss dem Showleiter und Chef der Schatthäuser Zwerge freilich zugestehen, dass er sich in einem akuten Zustand von nervenzerreißendem Endstress befand. Warum? Nun ja, Schatthausens König, Lutz, der Erste, hatte sich bei einer Auswärtsmission ausgerechnet eine Dame aus Baiertal (Beatrice Rebholz) angelacht und diese in einem Anfall von amourösen Halluzinationen zur neuen Königin erkoren: Königin über Baiertal UND Schatthausen. Nicht nur Pimpel, auch der Jäger aus Kurpfalz (Joachim Kaiser), der schwerbewaffnet die schicksalsschwangere Nachricht überbringen musste, sowie Hilda, die aus Sachsen importierte Zwergendame mit der rosa Zipfelmütze (Tamara Schmidt), waren verzweifelt und fassungslos angesichts dieser hochnäsigen Bedrohung aus dem wildwasserdurchspülten Westen, die es mit allen Mitteln abzuwehren galt. Doch zunächst ging dies nicht von allein, schier unüberbrückbare Schwierigkeiten tauchten auf.
Eine turbulente Tragikkomödie entspann sich, bei der die blaugewandete Königin keine Gelegenheit ausließ, sich ihre vermeintliche Schönheit von einem mysteriösen, weissagenden Eselsspiegel (Jochen Zaich) bestätigen zu lassen. Wie Schatthäuser Eselsspiegel aber so sind – wegen seiner Ehrlichkeit musste er doch viele fiese Knuffe hinnehmen. Je ehrlicher er war, desto schlimmer. Allerdings muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen, dass die Königin wegen ihrer Herkunft – die von allen Anwesenden intensiv und, hie und da, über Genüge betont wurde – keinen wirklich angenehmen Stand hatte. Der einzige Hoffnungsschimmer – schließlich hat der Ort das Symbol der Hoffnung im Wappen – war bisweilen, dass Lutz I. schon immer nach dem Motto „Make Love not War“ gelebt hatte, auch wenn ihm bewusst war, dass „Frauen gleich ihren Spaß wollen, wenn man sie mal loslässt.“
Wie sollte es in diesen seltsamen Zeiten auch sein: Gleich mehrere Zwerge (u. a. Robin Fellhauer) wurden Opfer von . . . nein, nicht von Corona, sondern von einer Pilzvergiftung, die sie sich zugezogen hatten, weil die Pilze entlang des Eselspfades doch allzu oft mit den toxischen Exkrementen nicht zufällig vorbeikommender Haustiere kontaminiert sind. Und die Pilze waren an diesem Tag wirklich sehr groß und zahlreich. Was für diese Kranken als Heilmittel gelten könnte, wurde bald einer anderen Hauptperson zum Verhängnis.
Doch der Reihe nach. Als Erster bemerkte es „SZ“, der Sing-Zwerg (Hubert Schröder): Jemand hatte beim örtlichen Schnapsbrenner den Williams-Christ entwendet. „Aber wer?“ fragte auch das zahlreiche Publikum. Auf den ersten Blick keine schlimme Sache – offensichtlich waren echte Feinschmecker am Werk gewesen. Dann aber traf Schneewittchen (Ayana Schmidt), die schöne Schatthäuser Tochter von König Lutz, beim Golfbällesammeln eine höchst freundliche Dame in besten Jahren, die sich als „Ursel“ vorstellte und ihr etwas Köstliches anbot. Keinen Apfel, wie Schneewittchen insgeheim gehofft hatte, sondern ein durchsichtiges Getränk, welches nach leckeren Birnen duftete. Das Mädchen wollte der guten Frau nichts abschlagen und trank gleich – höflich wie sie war – einen halben Liter „auf ex“.
Wie vom Donner gerührt sank sie mausetot auf die zufällig in der Nähe stehende Bank mit Lammfell und Kissen, die zum Glück Harry Schilles beim Bühnenbildnern abgestellt hatte, nieder. Groß war das Wehgeschrei – so groß, dass es Tom Pfeifer und Hubert Schramm fast die Ton- und Lichtregler aus der Hand schlug und dass selbst Souffleuse Charlotte Schilles hier und da beruhigend eingreifen musste. Pimpel, Hilda, der Jäger und all die anderen zahlreichen Beteiligten – außer der Königin natürlich, die komischerweise genau wusste, was mit Schneewittchen los war – weinten, heulten und wehklagten zum Steinerweichen. Grimmsseidank kam aber Zwergendame Hilda die rettende Idee: Die Idee nämlich, dass in Märchen – und das war es ja – auch Wunder geschehen können. Besonders auf der Schatthäuser Kerwe.
Und wer könnte da besser für Wunder sorgen und das Schneewittchen wachküssen als der Kerwevereins-Vorstand? Tatsächlich! Ulvi Bern stellte sich für dieses schwere Amt ohne Zaudern und mit den historischen Worten „Alla hopp, warum donnned? Do gibt’s weitaus hässlischereFraue!“ zur Verfügung. Gesagt, getan! Schneewittchen lächelte, öffnete tatsächlich die Augen, lebte wieder und sprach: „Hi mitnonna! ÄnSchatthauseischheit Kerwe!“ Überglücklich beschlossen alle, auch die vielen tollen Akteure der diversen Showeinlagen, dieses einzigartige Wunder ausgiebig in der Kerwebar zu feiern. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann feiern sie auch nächstes Jahr wieder!
PS: Die böse Königin soll übrigens zu später Stunde beim Formationstanz im Zelt gesehen worden sein. Sie war traurig, weil sie wegen der Tombola und der Kerweshow die Online-Informationsveranstaltung der Deutschen Glasfaser verpasst hatte und auch am Kerwedienstag den Info-Abend der Stadt Wiesloch über Photovoltaik wegen der Schlumpelverbrennung verpassen würde.
Weitere Impressionen der Kerweshow 2022:
Einige Eindrücke im Video festgehalten:
Text: Harry Schilles
Fotos und Video: Robert Pastor